Bericht zur Jahreskonferenz „Planet und Gesellschaft: Die Grenzen Nachhaltiger Zukünfte“
Die Jahreskonferenz der DFG-Kolleg-Forschungsgruppe „Zukünfte der Nachhaltigkeit: Modernisierung, Transformation, Kontrolle“ zielte darauf ab, die Konzepte der planetaren Grenzen und der Zukünfte der Nachhaltigkeit in einen Dialog zu bringen. Naturwissenschaftliche Perspektiven wurden dabei systematisch mit sozialwissenschaftlichen Sichtweisen verbunden.
Planetare Grenzen verweisen auf den begrenzten Möglichkeitsraum für nachhaltige Zukünfte innerhalb eines „safe operating space for humanity“ (Johan Rockström). Soziale Akteure übersetzen diese planetaren Grenzen jedoch auf höchst unterschiedliche Art und Weise. Auf der Jahreskonferenz wurden diese unterschiedlichen Grenzziehungen in den Blick genommen. Die vom Erdsystem gesetzten Beschränkungen betreffen dabei sowohl die externen Grenzen der Belastbarkeit des Planeten, als auch interne Grenzen, die den drei Nachhaltigkeitspfaden der Modernisierung, Transformation und Kontrolle jeweils innewohnen.
Keynote
Mojib Latif (GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel und Universität Kiel) eröffnete die Konferenz mit der Keynote „Nach uns die Sinflut: Wo stehen wir beim Klimaschutz?“. In seinem eindringlichen Vortrag argumentierte Latif direkt zu Beginn: „Mit Physik kann man nicht verhandeln und auch keine Kompromisse schließen!“. Das Problem bestehe jedoch darin, dass die Politik genau dies versuche und daher zwangsläufig scheitere.
Die derzeitigen vergeblichen Bemühungen auf die Erderwärmung zu antworten, bezeichnete er daher als eine „planetare Geisterfahrt“, die nur durch eine „kulturelle Revolution“ zu ändern sei. Das zentrale Problem besteht aus seiner Sicht demnach nicht in einer mangelnden Kenntnis über die menschlich verursachte Erderwärmung, sondern vielmehr in der politischen Umsetzung. Als ein großes Hindernis betrachtet er zudem die Abstraktheit der Erderwärmung: CO2 ist mit unseren Sinnen nicht wahrnehmbar und die Folgen der Emissionen ließen sich noch weitestgehend aus unserem Alltagsleben verdrängen. Bezüglich des Konferenzthemas – die Grenzen Nachhaltiger Zukünfte – argumentierte Latif, dass in vielen Diskussionen häufig wichtige Grenzziehung außer Acht gelassen werden: zum einen die Grenzen der Anpassungsfähigkeit und zum anderen die Grenzen der Finanzierbarkeit von Mitigationsmaßnahmen.
Mit Blick auf aktuelle klimapolitische Maßnahmen und Ansätze verwies Latif abschließend auf das wichtige und sehr zutreffende Zitat von Albert Einstein: „Die gewaltigen Probleme unserer Zeit können nicht mit derselben Denkart gelöst werden, welche jene Probleme hervorgebracht hat“.
Tanja Bogusz (Universität Hamburg) stellte in ihrem Kommentar zum Keynote-Vortrag heraus, dass die derzeitige plantare Situation verdeutliche, dass die klassische Natur-Kultur Trennung überwunden werden müsse. Für die Wissenschaft heiße dies, dass eine engere Zusammenarbeit sowie gegenseitiges Verständnis entwickelt werden müssten. Bemerkenswert sei zudem, dass aktuell systemkritische Stimmen eher aus den Naturwissenschaften zu vernehmen sind. Diese können nun die Erfahrung der Soziologie nachvollziehen, dass gesellschaftliche Steuerung angesichts komplexer Probleme schwierig ist. Die Gesellschaft, so Bogusz, höre eben nicht einfach so auf die Wissenschaft.
Grenzen der Modernisierung
Im Panel „Grenzen der Modernisierung“ stellte sich Cordula Kropp (Universität Stuttgart) in ihrem Vortrag „An den Grenzen gesellschaftlicher Reflexivität durch Nebenfolgen und blinde Flecken“ die Grundfrage, ob die Moderne als Lösungsmodell das Anthropozän überstehen werde.
Ulrich Becks Optimismus in Bezug auf die reflexive Modernisierung habe sich bisher nicht bewahrheitet. Denn Beck hatte letztlich erwartet, dass in der reflexiven Moderne in Reaktion auf die Krisen und kollabierende Institutionen Gegenkräfte erwachsen würden, die zum Aufbau neuer, zweitmoderner Institutionen führen würden. Diese würden auch Antworten auf die neuen, globalen Probleme bieten. Jedoch hat sich seitdem gezeigt, dass sich Lösungsansätze weitgehend auf Ideen grünen Wachstums und technischen Fortschritts beschränken. Auch die Reflexivität der zweiten Moderne verbleibe damit im Rahmen des Status Quo.
Kropp erörterte sowohl interne als auch externe Grenzen des Entwicklungspfads der Modernisierung. Zu den internen Grenzen zählen Rebound-Effekte, nicht-intendierte Nebenfolgen und etablierte Machtverhältnisse der politischen Ökologie, welche zu einer Stabilisierung nicht-nachhaltiger Praktiken führten.
Externe Grenzen der modernen Grenzinterpretation bestünden in politischen Wissensordnungen und Kosmologien, sowie der modernistischen, steuerungsoptimistischen Lesart der planetaren Grenzen, innerhalb derer relationale und hybride Mensch-Gesellschaft-Natur-Beziehungen nicht angemessen erfasst werden können.
In seinem Kommentar erläuterte Grischa Perino (Universität Hamburg) das europäische Emissionshandelssystem, welches sich zwischen Steuerungsoptimismus und Komplexitätsfalle befinde. Das System setzt politische Obergrenzen für Emissionen und verbindet dabei die zentrale politische Steuerung mit der unsichtbaren Hand des Marktes. Jede Klimapolitik müsse die Reduktion der Gesamtmenge an Emissionsrechten erwirken, sonst habe sie lediglich verzerrende Preiseffekte.
In der Diskussion wurde herausgearbeitet, dass der Entwicklungspfad der Modernisierung konzeptionell sowohl die erste, als auch die reflexive Modernisierung nach Beck umfasse. Demgegenüber lässt sich die von Cordula Kropp geäußerte Kritik am modernistischen Weltbild im Pfad der Transformation verorten. Sighard Neckel (Universität Hamburg) stellte ergänzend klar, dass die Zukunftspfade der Kolleg-Forschungsgruppe nicht als normativ zu verstehen sind, sondern als Beobachtungskategorien, die dazu dienen, eine kritisch-reflexive Perspektive einzunehmen.
Grenzen der Transformation
Im Panel „Grenzen der Transformation“ verfolgte Ulrich Brand (Universität Wien) in seinem Vortrag „Grenzenloser Kapitalismus. Planetare und gesellschaftliche Grenzen müssen politisch gesetzt werden“ das Ziel, den normativ aufgeladenen Transformationsbegriff, wie er heute gebräuchlich ist, auszuweiten, indem er den Blick auf die vielfältigen Grenzen legte:
So seien erstens kapitalistische Transformationsdynamiken, die mit wirtschaftlicher Expansion und der Ausbeutung der Natur einhergehen, mit Grenzen konfrontiert. Diese werden zwar permanent verschoben, gleichzeitig entstehen jedoch neue Grenzen und es sei fraglich, wie lange Verschiebungen überhaupt noch möglich sein werden.
Zweitens reflektierte Brand die Grenzen der Transformationsdebatte und betonte, dass ein genaueres Verständnis des Transformationsobjekts fehle. Der Fokus liege oft auf den Konsument:innen, die Rolle des Staates und die Ausbeutung der Natur werden kaum reflektiert. Daher bedürfe es eines kritischen und emanzipatorischen Transformationsbegriffs, der die Gesellschaft und die gesellschaftlichen Naturverhältnisse gleichermaßen miteinbezieht.
Drittens argumentierte Brand für die Notwendigkeit von gesellschaftspolitisch, d.h. durch selbstbestimmte und demokratische Prozesse gesetzte Grenzen. Durch kollektive Selbstbegrenzungen, die die Obergrenze für Produktion und Konsum als normativen Bezugspunkt haben, könnten so neue Räume geöffnet werden. Dafür sei eine Dekolonisierung des Denkens und damit die Überwindung des Denkens von permanentem Wachstum und Grenzüberschreitung unerlässlich.
Franziska Müller (Universität Hamburg) forderte in ihrem Kommentar, dass eine kritische und emanzipatorische Transformation nicht ohne die Reflektion alter und neuer koloniale Muster angestoßen werden darf. Zudem plädierte sie dafür, zu hinterfragen, welche Formen von Staatlichkeit und welche Institutionen es dafür braucht. In diesem Zusammenhang gelte es auch den Blick verstärkt auf jene Allianzen zu lenken, die sich ganz unerwartet bilden und ein großes Potenzial für Veränderungen haben.
Stefan C. Aykut (Universität Hamburg) ergänzte in seinem Kommentar, dass der Weg hin zu einer anderen Gesellschaft in den Blick genommen werden müsse und nicht nur die Idee bzw. das Endziel einer anderen Gesellschaft. Auch er betonte die Bedeutung von heterogenen Allianzen auf diesem transformativen Weg und hinterfragt, inwiefern nicht auch progressive Kapitalinteressen mit in die Transformationsdebatte eingebunden werden müssten.
In der abschließenden Diskussion wurde unter anderem die von Brand adressierte Bedeutung des Staates kritisch beleuchtet. Brand machte jedoch deutlich, dass er den Staat keineswegs als ein monolithisches Gebilde verstehe, sondern als ein vielschichtiges, heterogenes Konstrukt mit ganz unterschiedlichen Akteur:innen. So komme etwa der kommunalen Ebene eine entscheidende Rolle zu, transformative Prozesse anzustoßen.
Grenzen der Kontrolle
Im Panel „Grenzen der Kontrolle“ legte Frank Biermann (Universität Utrecht) den Fokus auf die umstrittene Technologie des Solar Geoengineering. Bereits der Titel seines Vortrags „Die Grenzen der planetaren Kontrollfantasien: Warum Geoengineering und globale Technokratie keine Lösung sind“ gab dabei die politische Grundrichtung vor: So argumentierte er, dass das sogenannte Solar Radiation Management, das mittels unterschiedlicher Technologien darauf abzielt, die globale Erdtemperatur durch eine Reduktion der Sonnenenergie zu verringern, im gegenwärtigen internationalen politischen System nicht demokratisch regiert werden könne. Gegenwärtig existiere keine Institution, die diesen Ansätzen Legitimität verleihen könnte, nicht zuletzt da diese Technologien nur von einigen wenigen mächtigen Akteuren eingesetzt werden können.
Biermann stellte dabei heraus, dass spekulative Hoffnungen über die zukünftige Verfügbarkeit von Solar Geoengineering, die von Befürworter häufig als eine relativ günstige Soforthilfe beworben werden, das Risiko beinhalten, klimapolitische Verpflichtungen abzuschwächen und die politischen Anreize für eine Dekarbonisierung zu verringern. Gleichzeitig sind die Nebenwirkungen von Solar Geoengineering kaum verstanden und die Auswirkungen könnten von Region zu Region sehr unterschiedlich sein, was erhebliche Risiken berge. Es handele sich schlussendlich um ein großes planetares Experiment, das Biermann als ein „Stratospheric Imperialism“ bezeichnete. Nicht zuletzt dürfe auch die Gefahr, dass einzelne autokratische Staaten, diese Technologien zum eigenen Machterhalt und ungeachtet internationaler Ächtung einfach durchsetzen könnten, nicht außer Acht gelassen werden.
Vor diesem Hintergrund hielt Biermann abschließend ein Plädoyer für ein internationales Non-Use Agreement hinsichtlich der Finanzierung, der Erforschung und des Einsatzes von Solar Geoengineering: Die derzeit zu beobachtende Normalisierung dieser Technologie und ihre Bewerbung als klimapolitische Option, so sein abschließendes Fazit, müsse unbedingt gestoppt werden.
Hermann Held (Universität Hamburg), der sich als Naturwissenschaftler intensiv mit Solar Engineering beschäftigt, bestätigte in seinem Kommentar die Einschätzung, dass es sich dabei um eine Technologie handele, über die noch viel zu wenig bekannt ist und welche eine lange Liste an Nebenwirkungen mit sich bringe. Es sei zudem problematisch, dass Solar Geoengineering in finanzieller Hinsicht gegenüber der Mitigation im Vorteil sei. Dies würde den politischen Anreiz für entsprechende Maßnahmen potenziell verringern.
Christine Hentschel (Universität Hamburg) brachte mit ihrem Kommentar das Denken des Philosophen Günther Anders in die Diskussion ein: Wir sind nicht in der Lage uns vorzustellen, wie die Apokalypse aussehen kann und zugleich sind wir auch nicht in der Lage uns vorstellen zu können, welche Auswirkungen unsere technologischen Errungenschaften haben können. Ein Rückgriff auf diese Erkenntnis, die vor dem Hintergrund der atomaren Bedrohung des Kalten Krieges entstanden ist, habe angesichts der planetaren Kontrollphantasien eine neue Relevanz.
Die anschließende Diskussion offenbarte einige Kontroversen: Unter anderem wurde die Frage in den Raum gestellt, ob Länder im Globalen Süden nicht durchaus ein Recht auf Geoengineering haben sollten, gerade weil sie für die sozial-ökologischen Krisen viel weniger verantwortlich sind und bereits jetzt in enormen Maße von der Erderwärmung betroffen sind. Auch die Frage, ob es nicht besser für demokratisch regierte Ländern wie Deutschland sei, selbst Teil der Forschungsgruppe rund um Solar Geoengineering zu sein, anstatt zuzuschauen, wie sich andere Länder darin „ausprobieren“, offenbarte die Komplexität und die Ambivalenz dieses Themas.
Abschlussdiskussion
In der abschließenden Diskussion fokussierte sich Philipp Degens (Universität Hamburg) auf die Impulse, die die weitere Forschungsarbeit des Kollegs bereichern. Die geführten Diskussionen könnten als Bestätigung dafür gesehen werden, dass das Kolleg über ein starkes analytisches Instrumentarium verfügt – dennoch wurde deutlich, dass einige Aspekte noch genauer in den Blick genommen werden sollten.
Einigkeit herrschte in den Natur- und Sozialwissenschaften darin, dass es mehr Forschung geben müsse, die darauf abzielt zu analysieren, wie gesellschaftliche Veränderungen tatsächlich herbeigeführt werden können und welchen Akteuren mit welchen Machtressourcen dabei wie eine Rolle spielen könnten.
Die drei Entwicklungspfade des Kollegs, Modernisierung, Transformation und Kontrolle, sollten demnach noch stärker auf vermachtete Akteurskonstellationen hinterfragt werden, um zu analysieren, welche Akteur:innen mit welchen Interessen und Ressourcen versuchen, welche Imaginationen von Nachhaltigkeit zu verwirklichen und zu welchen Konflikten es dabei kommt.
Als Impulse für die Forschungsarbeit des Kollegs kann außerdem mitgenommen werden, dass die Frage von globalen Machtverhältnisse noch systematischer in den Vordergrund gestellt werden müsste. Zudem wurde die Bedeutung kollektiver Selbstbegrenzung im Sinne einer gesellschaftlich selbstauferlegten Grenzziehung für Veränderungsprozesse deutlich. Unter welchen Bedingungen kann es also gelingen Grenzen zu setzen, die notwendigerweise gesetzt werden müssen, wenn das Framework der planetaren Grenzen herangezogen wird.
Christine Hentschel (Universität Hamburg) arbeitete in ihrem abschließenden Input heraus, dass es den Sozialwissenschaften an einer Zukunftsorientierung fehle. Hier müsse nachgebessert werden, da es um das Gestalten von Zukünften gehe. Auch die Sozialwissenschaften sollten mit dem Grenzbegriff arbeiten, da er produktiv sein kann und dazu dienen kann, mit anderen Disziplinen in einen Dialog zu treten. Wichtige weiterführende Fragen seien außerdem: Wie können Institutionen für einen Wandel zu Nachhaltigkeit verfügbar gemacht werden? Wie können wir eine nachhaltige und lebenswerte Welt schaffen?
Frank Adloff (Universität Hamburg) bekräftigte abschließend, dass Zukunft stärker in den Mittelpunkt der Sozialwissenschaften gerückt werden müsse. Eigentlich beschäftige sich die Soziologie mit der Analyse der unmittelbaren Vergangenheit - es müsse jedoch auch um die Gestaltung von zukünftigen Möglichkeitsräumen gehen.