Annual Conference 2021
Ein Veranstaltungsbericht mit dem Titel „Transformation ja, aber wie?“ von Nicolina Kirby (IASS) findet sich online bei Soziopolis.
Konferenzbericht
Am 11. und 12. Februar fand unsere digitale Jahrestagung Unsustainable Past – Sustainable Futures? statt. Anhand verschiedener Positionen wurde erörtert, inwiefern eine nachhaltige Zukunft angesichts einer nicht nachhaltigen Vergangenheit und zahlreicher aktueller Probleme noch möglich erscheint. Der Historiker Dipesh Chakrabarty (University of Chicago, USA) forderte in seiner Keynote Sustainability and Habitability: The Planetary Age in Human History, den „Anthropozentrismus” zu überwinden. Dazu schlug er eine analytische Unterscheidung von planet und globe vor und plädierte dafür, unsere Gegenwart von beiden Seiten aus zu betrachten, da diese Perspektiven keine Gegensätze, sondern eng miteinander verwoben seien. Während sich das Globale auf menschengemachte Institutionen und Technologien sowie menschliche Zeithorizonte beziehe, erfordere das Planetare eine Perspektive auf deutlich langfristigere Zeitspannen und das Erdsystem. Denn während die Globalgeschichte im Wesentlichen auf die gut 500 Jahre seit Beginn der europäischen Expansion rekurriere, nehme die Planetargeschichte die 350 Millionen Jahre alte Stratosphäre in den Blick. Analog schlug er vor, dem Konzept der Nachhaltigkeit das Konzept der Habitabilität gegenüberzustellen, welches den Menschen dezentriere. Letzteres wähle nicht das menschliche Leben, sondern „life in general“ als Bezugspunkt und betrachte die Lebensfähigkeit auf dem Planeten. Eine angemessene Antwort auf die ökologische Krise setzt laut Chakrabarty voraus, Wege zu finden, das Planetare wahrnehmbar zu machen – damit auch die ökologische Krise als solche anzuerkennen – und wirksame planetare Politiken zu finden.
In der nachfolgenden Diskussion wurde u.a. die Frage aufgeworfen, ob es sinnvoll sei, einer humanzentrierten „globalen“ Perspektive eine „planetare“ gegenüberzustellen, welche die menschliche Welt dezentrieren soll. Kritisch wurde eingewandt, dass beide Perspektiven nur von Menschen reflektiert werden könnten, sodass auch die planetare Perspektive notwendigerweise vom Menschen ausgehen würde. Weitere Nachfragen bezogen sich darauf, ob mit der Unterscheidung von Menschheits- und Erdgeschichte erneut eine Trennung von Kultur und Natur vollzogen würde.
Der darauffolgende Tag begann mit einer Diskussion zwischen David Spratt (Breakthrough – National Centre for Climate Restoration, Australien) und Ulrike Kornek (Christian-Albrechts-Universität zu Kiel), die in ihren Vorträgen die Frage thematisierten, wie Gesellschaften mit den tiefgreifenden Herausforderungen globaler Erderwärmung umgehen sollten und welche Art von politischem Handeln notwendig ist, um die gesetzten Klimaziele zu erreichen. Spratt kritisierte klimapolitische Strategien, die den Klimawandel letztlich als Problem der Marktoptimierung betrachteten und auf Kosten-Nutzen-Analysen basierten. Denn solche Instrumentarien und Modellierungen legen lineare Entwicklungen der Umwelt zugrunde und mögen zwar in Zeiten von Stabilität funktionieren, nicht aber bei Disruptionen, Nichtlinearität und Kipppunkten. Vielmehr verschleierten sie das Problem, indem sie kalkulierbare Risiken suggerierten, wo in Wahrheit existentielle Gefährdungen durch unkontrollierbare, sich selbst verstärkende Erderwärmungen drohten. Daraus folgerte er, dass man dem Klimawandel schlicht nicht mit Wachstum und Effizienz entgegentreten kann, sondern nur mit einer drastischen Reduktion der CO2-Emissionen und einer Umverteilung auf allen Ebenen. Ulrike Kornek teilte die Dringlichkeit weitreichender Maßnahmen, zeigte sich aber deutlich optimistischer, durch politische Regulationsmöglichkeiten das Marktversagen bei der Eindämmung von Treibhausgasemissionen zu beheben. Eine angemessene und gerechte CO2-Bespreisung – momentan sei diese noch zu niedrig – kann laut Kornek dazu beitragen, die Pariser Klimaziele zu erreichen. Sie schlug vor, Anreize zur Implementierung von CO2-Bespreisungen zu schaffen sowie die dadurch generierten Einnahmen zu verwenden, um ökonomisch Schwächere für die steigenden Kosten zu kompensieren. Durch diese Bepreisung könne darüber hinaus Druck auf die einzelnen Länder ausgeübt werden, um die Ziele im Kampf gegen den Klimawandel möglichst schnell zu erreichen.
In der daran anschließenden Session beleuchteten Kohei Saito (Osaka City University, Japan) und Giacomo D’Alisa (Universidade de Coimbra, Portugal) zwei unterschiedliche (wenn auch durch viele Überschneidungen gezeichnete) Wege gesellschaftlicher Transformation hin zu einer nachhaltigen Gesellschaft. Saito plädierte aus einer marxistischen Perspektive für einen Ökosozialismus und arbeitete heraus, inwiefern das Marxsche Gesamtwerk für solch eine Utopie gewinnbringend ist. Während einige Marxist:innen im Einklang mit dem Ökomodernismus verstärkt auf eine intensivierte Nutzung innovativer Technologien setzten, finden sich laut Saito bei einer genauen Lektüre des Marxschen Schrifttums Ansatzpunkte für die Utopie eines Ökosozialismus ohne Wachstum. Bezugspunkt einer solchen ökosozialistischen Ökonomie sei nicht die sozial immer wieder hergestellte Knappheit, sondern der Überfluss. Hiermit sei aber nicht die Anhäufung materieller Dinge gemeint, sondern die mit reduzierter Erwerbsarbeitszeit gewonnenen Freiheiten. Von dieser Perspektive nicht allzu weit entfernt sind die unterschiedlichen Ansätze der Degrowth-Bewegung, für die D’Alisa in seinem Vortrag plädierte. Er schlug vor, den hegemonialen common sense eines „to stay well you need more” durch ein „live simply so others may simply live“ zu ersetzen. Hierfür sei es lohnenswert, die Degrowth-Perspektive mit der des Ökosozialimus zu verbinden. Transformative Strategien setzten dabei nicht auf Konsumverhaltensänderungen einzelner, sondern auf die Politisierung von Nachhaltigkeit. Laut D’Alisa kommt dem Staat kommt dabei eine besondere Rolle zu, weil er nicht nur umverteile, sondern selbst entscheidender Akteur der Wohlstandsproduktion sei.
In der von Tanja Busse (Journalistin, Hamburg) moderierten Abschlussdiskussion mit Frank Adloff, Stefan Aykut, Christine Hentschel, Sighard Neckel (alle Universität Hamburg) und Nina Treu (Konzeptwerk Neue Ökonomie, Leipzig) rückte noch einmal die zentrale Frage, ob eine nachhaltige Zukunft möglich ist, in den Vordergrund. Adloff hinterfragte das Konzept der Nachhaltigkeit auf seine Brauchbarkeit und merkte an, dass wir eventuell schon längst in einer post-sustainable society lebten und Konzepte von Resilienz und der von Chakrabarty eingebrachte Gedanke der habitability viel gewinnbringender sein könnten – insbesondere wenn die Möglichkeit eines bevorstehender Kollaps ernst genommen wird. Als kritische Erwiderung betonte Neckel, dass Nachhaltigkeit im gesellschaftlichen Diskurs weiterhin eine große Rolle spiele und als soziologische Beobachtungskategorie sinnvoll zu nutzen sei. Im Übrigen würden sich auch hinter Konzepten wie Resilienz und Habitabilität zahlreiche Probleme verbergen, die es soziologisch zu reflektieren gelte. Er vertrat die Auffassung, dass Elemente aller drei Entwicklungspfade der Nachhaltigkeit – Modernisierung, Transformation, Kontrolle – notwendig seien, wenn der ökologischen Krise in einem angemessenen Zeitrahmen und wirksam entgegengetreten werden soll.
Nina Treu verwies auf den kommenden Wandel „by design or by disaster“ und plädierte für mehr Pragmatismus. Insbesondere müsse utopisches Denken erlernt werden. Sie berichtete aus ihrer eigenen Praxis im Konzeptwerk Neue Ökonomie darüber, wie Zukunftsworkshops das Denken und Handeln von Menschen durchaus verändern können. Hentschel erwähnte die Rolle der Sozialwissenschaftler:innen, die ihren analytischen Blick auf emanzipatorische Projekte und Initiativen richten und damit Aufmerksamkeit erhöhen könnten. Insgesamt komme es darauf an, vor der Problematik der Kipppunkte nicht zu erstarren, sondern diese produktiv zu wenden und in solidarisches Handeln zu übersetzen.
Einig waren sich die Diskutant:innen darin, dass der demokratischen Gestaltung der Antwort auf die multiplen ökologischen Krisen eine besondere Bedeutung zukommt. Eine Aussetzung der Demokratie aufgrund des Klimanotstands sei hingegen keine erfolgsversprechende Strategie. Aykut verwies auf die Fragwürdigkeit der Annahme, dass autoritär Herrschende die ökologische Krise überhaupt zu bewältigen gewillt seien. Vielmehr scheinen im Gegenteil neue Formen demokratischer Partizipation, etwa in Bürger:innenräten, geeignet zu sein, um einen breiten gesellschaftlichen Konsens für eine wirkungsvolle Nachhaltigkeitspolitik herbeizuführen.
"Unsustainable Past - Sustainable Futures?"
Annual Conference (digital) of the Humanities Centre for Advanced Studies
"Futures of Sustainability: Modernization, Transformation, Control"
11 and 12 February 2021
In its digital Annual Conference 2021, the Humanities Centre for Advanced Studies "Futures of Sustainability" asks whether a sustainable future is still possible regarding the 200-year long history of disastrous ecological development of the earth. To pursue this question, it is necessary to further define the situation we find ourselves in. We must clarify how to describe our present of global warming, species extinction, and the poisoning of soils, water, and air more accurately. Moreover, in order to know whether the historical path of ecosystem destruction is reversible, we must ascertain what has led to this path and what continues to stabilize it.
For this purpose, the annual conference adopts different perspectives. Drawing attention to humanity as a whole on a planetary scale, the age of the Anthropocene elucidates the tremendous extent to which humanity has now become an all-encompassing geological force. What follows from these considerations for the social and cultural sciences?
By differentiating humanity historically, economically as well as culturally, more specific social constellations come into view. Is the exploitation of nature a characteristically "Western" phenomenon rooted in an instrumental understanding of nature requiring far-reaching cultural change to be overcome? Or does the economic mode of capitalism mainly produce the destruction of the ecosystem? Can there be a social-ecological transformation at all within an economic regime of permanent capital accumulation?
All prospects for socio-ecological change depend on what futures are assumed to be likely. Can "sustainable futures" be achieved through ecological modernization or profound societal transformations, given that we are dealing with a crisis that is, in principle, still surmountable? Or is the earth system already leaving the planetary boundaries of a habitable planet? Are we heading for a global civilizational collapse?
Day 1
11 February 2021
5:30 p.m. - 7:30 p.m. (CET)
- 5:30 p.m. Conference Introduction
Frank Adloff and Sighard Neckel (Humanities Centre for Advanced Studies, Hamburg) - 6:00 p.m. Keynote Speech
"Sustainability and Habitability: The Planetary Age in Human History" (on YouTube)
Dipesh Chakrabarty (University of Chicago) - Discussion
Day 2
12 February 2021
9:30 a.m. - 2:45 p.m. (CET)
- 9:30 a.m. Session A: "Prospects: Crisis vs. Collapse"
- David Spratt (Breakthrough - National Centre for Climate Restoration, Australia)
"Existential climate risk, markets and the state" (on YouTube) - Ulrike Kornek (Christian-Albrechts-Universität zu Kiel)
"Equitable Carbon Pricing and the Paris Climate Goals" (on YouTube) - Discussion
- Chair: Benno Fladvad (Humanities Centre for Advanced Studies, Hamburg)
- David Spratt (Breakthrough - National Centre for Climate Restoration, Australia)
- 10:50 a.m. - 11:00 a.m.: Break
- 11:00 a.m. Session B: "Causes: Culture vs. System"
- Kohei Saito (Osaka University, Japan):
"Climate Crisis and Ecological Revolution: Climate Keynesianism, Accelerationism and Ecosocialism" (on YouTube) - Giacomo D'Alisa (Ecology and Society Lab, Center for Social Studies, University of Coimbra, Portugal):
"The case for degrowth" (on YouTube) - Discussion
- Chair: Sarah Lenz (Humanities Centre for Advanced Studies, Hamburg)
- Kohei Saito (Osaka University, Japan):
- 12:20 p.m. - 1:15 p.m.: Break
- 1:15 p.m. - 2:45 p.m.: Panel discussion: "Modernization, transformation, control: Can there be a sustainable future?" (on YouTube)
Frank Adloff (Humanities Centre for Advanced Studies, Hamburg)
Stefan C. Aykut (Universität Hamburg)
Christine Hentschel (Universität Hamburg)
Birgit Mahnkopf (Institute for International Political Economy, Berlin)
Sighard Neckel (Humanities Centre for Advanced Studies, Hamburg)
Nina Treu (Konzeptwerk Neue Ökonomie, Leipzig)
Chair: Tanja Busse (Journalist, Hamburg)
Registration is open:
The conference will be held in English and as a Zoom-Webinar. During the discussions (after the Keynote Speech and at the end of the Sessions A and B) and during the Panel discussion you will have the possibility to ask questions via the question & answer (Q&A) feature.
If you would like to participate, please register by sending an e-mail to zukuenfte.der.nachhaltigkeit"AT"uni-hamburg.de
Registered participants will receive further information and the Zoom access details shortly before the conference.
Further details will be announced here.