Nachwuchskonferenz 2020
Digitale Konferenz der DFG-Kollegforschungsgruppe »Zukünfte der Nachhaltigkeit« am 5. und 6. November 2020
Dealing with the (Un)Known Unknowns: Praxistheoretische Perspektiven auf sozial-ökologische Krisen
Durch die vielfältigen sozial-ökologischen Krisen wie Klimawandel, Artensterben oder erzwungene Migration geraten etablierte Vorstellungen einer linearen und planbaren Zukunft ins Wanken. Auch das ausbeuterische Verhältnis der Menschen gegenüber der Natur und ihrer Ressourcen wird zunehmend hinterfragt. So herrscht in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen Einigkeit darüber, dass es ein »Weiter-so« nicht länger geben darf und die häufig als alternativlos dargestellten und mit weitreichenden sozialen und ökologischen Konsequenzen einhergehenden Praktiken imperialer Lebensweise, d.h. die habitualisierten Muster der Produktion, Konsumption und Distribution, einschließlich ihrer strukturellen Bedingungen, überprüft und verändert werden müssen.
Nicht nur die materielle Verankerung sozialer Praktiken gerät hierbei verstärkt in den Blick, etwa in Form alternativer Naturverhältnisse, sondern auch ihr potentiell instabiler Charakter. Dies spiegelt sich in kollektiven Gefühlen der Unsicherheit wider und öffnet zugleich konkurrierende Sinnhorizonte für utopische und dystopische Zukunftsimaginationen. Zudem rücken vermehrt die in sozialen Praktiken eingebetteten Vorstellungen von Zeitlichkeit in den Vordergrund, z.B. in Form eines entschleunigten Umganges mit der Zeit, was auch in einzelnen politischen Forderungen Ausdruck findet. Gegenwärtig existieren demnach umkämpfte Deutungsmuster des Kommenden, die vor dem Hintergrund der aktuellen Krisendynamiken durch ein hohes Maß an sowohl bekannten als auch unbekannten Ungewissheiten charakterisiert sind und es stellt sich die Frage, wie mit diesen »(Un)Known Unknowns« sozialwissenschaftlich umgegangen werden kann.
Mit Blick auf die Debatte um Nachhaltigkeit, die als weitgehend akzeptierte Antwort auf die vielfältigen sozial-ökologischen Krisen dient, kann zwischen drei Imaginationen von Zukunft differenziert werden, die in konkreten Praktiken und ihren materiellen Arrangements eingebettet sind: i) Ein weitestgehend etabliertes und lineares Modernisierungs- und Fortschrittsdenken, z.B. in Form eines »grünen Kapitalismus«, (ii) transformative Ansätze und Forderungen, denen oftmals alternative Natur- und Zeitverhältnisse zugrunde liegen, etwa im Rahmen der Postwachstums-Bewegung oder indigener Kosmovisionen, sowie (iii) die Beherrschung und Kontrolle von zukünftigen Ungewissheiten mithilfe technisch-rationaler Verfahren oder autoritärer Maßnahmen, z.B. durch Formen des Geo-Engineerings oder abschottender Politiken.
Diese potentiell konflikthaften Aushandlungen über das Kommende nehmen wir als Ausgangspunkt unserer Konferenz »Dealing with the Un(Known) Unknowns« und loten sie anhand von drei relevanten Dimensionen aus: Materialität, Instabilität und Zeitlichkeit. Materialität bezieht sich auf artefaktische und natürliche Dinge, deren sinnhafter Gebrauch konstitutiv für Praktiken sind. Angeregt durch die Akteur-Netzwerk-Theorie und den Neuen Materialismus stellt sich dabei die Frage nach dem Verhältnis von Natur und Kultur sowie von Mensch und Artefakt immer wieder aufs Neue. Auch der Begriff der Materialität selbst sollte problematisiert werden. Reproduziert er möglicherweise die Dichotomie zwischen der materiellen und ideellen Sphäre? Existiert ein Unterschied zwischen belebter und unbelebter Natur? Und lässt sich dieser praxistheoretisch fassen? Instabilität betont das kreative Moment der (un)intendierten Abweichungen von bestimmten Handlungsskripts und das damit einhergehende Potential der Transformation sozialer Praktiken. Vor dem Hintergrund eines möglichen gesellschaftlichen Wandels rückt hier insbesondere die Frage ins Zentrum, inwiefern Instabilität und Wandel anstelle von Stabilität und Kontinuität als gesellschaftlicher Normalzustand aufgefasst werden sollte. Zeitlichkeit schließlich verweist nicht nur auf die temporale Ordnung sozialer Felder und das sich daraus ergebende implizite Zeiterleben, sondern auch auf die explizite Organisation von Zeitlichkeit im Vollzug von Praktiken. Hier stellt sich zum einen die Frage, inwiefern die Auseinandersetzung mit einer unsicheren, von Kontingenz charakterisierten Zukunft unterschiedliche Zeitlichkeiten hervorbringt und zum anderen, wie diese in sozialen Ordnungen und Praktiken eingebettet sind. Dabei ist auch der Umgang mit nicht-menschlichen Zeitlichkeiten von Interesse, beispielsweise in Form erdsystemischer Prozesse und Dynamiken, die in teils disruptiver Wechselwirkung zu sozialen Zeitverhältnissen stehen können.
Das weite Feld der Praxistheorien liefert mit Blick auf diese drei Dimensionen sowohl auf theoretischer als auch auf empirischer Ebene fruchtbare Anknüpfungspunkte für eine sozialwissenschaftliche Perspektive, die sich dem gesellschaftlichen Umgang mit den »(Un)Known Unknowns« im Kontext von Nachhaltigkeit und den damit einhergehenden Unsicherheiten und Umbrüchen widmet. In einer Kombination aus theoretischen Inputs, empirischen Forschungsbeiträgen und interaktiven Workshop-Formaten wollen wir daher diskutieren, welchen Beitrag praxistheoretische Forschung für eine Auseinandersetzung mit den vielfältigen Zukunftsimaginationen sozial-ökologischer Krisen liefern kann.
Konferenzprogramm
Donnerstag, 5. November 2020:
- 14.30 Uhr: Begrüßung
- 15.15–17.30 Uhr: Workshop zu Praktiken und Materialität mit Katharina Manderscheid (Hamburg)
Benedikt Schmid (Universität Freiburg): »Transformative Infrastrukturen und infrastrukturelle Transformationsstrategien«
Kerstin Walz (Hamburg): »Radfahren im automobilen Verkehrssystem: Über geteilte Materialitäten, Ansprüche und Aushandlungen« - 18–19 Uhr: Keynote »Un(knowns), Sustainability and Practices«, Allison Hui (Lancaster)
- ab 19 Uhr: Open Space: Austausch, Diskussionen, Limo und Bier
Freitag, 6. November 2020:
- 9–10 Uhr: Keynote »Gerichtete Zeit und die Politik der Ablenkung«, Matthew Hannah (Bayreuth)
- 10.15–12.30 Uhr: Workshop zu Praktiken und Instabilität mit Florian Dünckmann (Kiel)
Jana Kühl (Kiel/Salzgitter): »Vom Sollen zum Wollen. Impulse zur Adaption veränderter Mobilitätspraktiken«
Luca Raschewski (Frankfurt/Main): »Umgang mit Wissen und Nichtwissen über die Umweltwirkungen von Plastik bei alltäglichen Konsumpraktiken«
Lucas Kuster (Flensburg): »Was ist (D)ein Problem? Veränderungs- und erkenntnisorientierte Forschung durch Transformation Design« - 12.30–13.30 Uhr: Mittagspause
- 13.30–15.45 Uhr: Workshop zu Praktiken und Zeitlichkeit mit Hannes Krämer (Duisburg-Essen)
Sören Altstaedt (Hamburg): »Ökologische Zukünftigkeit als Dispositiv«
Ingmar Mundt (Passau): »Präemption der Zukunft: temporale Spannungsverhältnisse und (De)Synchronisationsprozesse zwischen Subjekt und Technologie«
Christiane Stephan (Bonn): »Von Zukunftsträumen und Zukunftsräumen« - 16–16.30 Uhr: Abschlussrunde
Anmeldung
Die Konferenz wird rein digital durchgeführt und findet mit Ausnahme des Vortrags von Dr. Allison Hui auf Deutsch statt.
Bei Interesse an einer verbindlichen Teilnahme, melden Sie sich bitte bis zum 31.10.2020 bei Tanja Mühle unter zukuenfte.der.nachhaltigkeit"AT"uni-hamburg.de an.
Weitere Informationen sowie Zugangsdaten erhalten Sie rechtzeitig per E-Mail.